Die Geburt einer Duschanlage

Es war im Jahre 1974. Für mein kleines Trainingsstudio hatte ich Räume gemietet und in eigener Regie eine Duschanlage eingebaut. Im Hause waren noch andere Mieter. Ein argwöhnischer Hauswart sorgte für Ruhe und Ordnung. Eines Tages hinkte er. Der Grund hierfür läge in «dieser Sauerei da unten». Und überhaupt «langt’s», er würde mir nächstens das Wasser abdrehen.

Die Sauerei bestand aus seifenhaltigem Wasser. Es fand seinen Weg aus der Duschanlage meines Trainingsstudios durch die Haarrisse in den Fugen zwischen den Fliesen hindurch in die Bausubstanz und abwärts in das darunterliegende Treppenhaus. Tropfen für Tropfen. Zwar hatte der Hauswart einen ausgesprochen energischen Gang mit überdurchschnittlicher Anfangsbeschleunigung – trotzdem, die Schuld lag eindeutig auf meiner Seite.

Die Duschanlage war kaum fünf Monate alt. Ich bestellte die beiden verantwortlichen Handwerker. Der Klempner, ein Riese von Gestalt, empfand die «Tröpfelei» offensichtlich unter seiner Berufswürde. Das würde dann ganz anders sprudeln, wenn seine Arbeit nicht dicht wäre. Nein, das müsse woanders liegen. Das Woanders war wohl das Stichwort für den Fliesenleger, zu einem vergleichbaren Plädoyer anzusetzen. «Seine» Fugen an den Fliesen hielten absolut dicht. Noch nie – in den zwanzig Jahren seiner Zeit als freischaffender Fliesenleger – sei es vorgekommen, dass seine Fugen undicht gewesen wären. Dann begann der Plattenleger mit dem Klempner über eine Baustelle zu plaudern, wo sie gegenwärtig offenbar beide zu tun hatten. Ich nahm erneut Anlauf: «Meine Herren, einer von Ihnen muss hier die Verantwortung übernehmen!»

Zuerst dämmerte es wohl dem Klempner: die Garantiezeit war noch nicht abgelaufen. Er bekam einen traurigen Blick und faltete die Hände. Auch der Fliesenleger verformte kummervoll sein Gesicht. Ihm schwante: das Wort «Verantwortung» hat mit Geld zu tun, aber auf die unangenehme Weise.

Da kam dem Klempner die Erleuchtung: Kondenswasser! Aber ja! Schließlich sei es im Duschraum warm (wofür er ja nichts könne) und das Wasser in den Zuleitungen kalt (wofür er wieder nichts könne), und so bilde sich Kondenswasser, sozusagen ein Naturgesetz (wofür wir nun alle nichts können). Dieses Kondenswasser schleiche dann die Röhren entlang nach unten. Da hätte man halt alle Röhren isolieren müssen, doch das wäre nicht sein Auftrag gewesen, und überhaupt wäre das sehr teuer und das Ganze hätte ja eh nichts kosten dürfen. (Er hat mir meine Preisdrückerei nicht verziehen.) Die Ausführungen gaben dem Fliesenleger hinreichend Zeit, seine Hypothese zu entwickeln. Es könne in einem Stockwerk über uns etwas undicht sein, bei einem anderen Mieter; ja sogar in dem Stockwerk über dem Stockwerk über uns oder noch weiter oben. «Da ist das Dach», wandte ich ein. Er warf mir einen Blick zu, als hätte ich eben einen unpassenden Witz erzählt, dann fuhr er fort, das Wasser würde die Leitungen entlang heruntersickern bis in den Flur. Irgendein Mieter über uns könnte der Grund sein. Fast feierlich fügte er an: «Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied.»

Der hinkende Vergleich erinnerte mich wieder an unseren Hauswart. Mit – wie ich rückschauend vermute – maliziösem Lächeln beschied ich den beiden: «Ich werde in Zukunft Duschen bauen, bei denen ich weder Fliesenleger noch Klempner benötige, nie mehr!» Ich hatte zwar keine Idee, wie dies zu bewerkstelligen wäre; es war einfach ein Wunsch, geboren aus der Not, aufgemacht als Prophezeiung. Beide starrten mich einen Moment lang verständnislos an. «Wie meinen Sie das?» fragte der Fliesenleger freundlich, da er meine Aussage offensichtlich nicht im Zusammenhang mit der Situation sah. Ich ließ eine Tirade los gegen die Rückständigkeit des Handwerks im Allgemeinen und gegen jene der Fliesenleger und Klempner im Besonderen. Die Atombombe hätte man erfunden, und vor sechs Jahren seien die ersten Menschen auf dem Mond gelandet, aber beim Bau von hygienischen Anlagen wären wir noch in der Steinzeit. «Schauen Sie sich diese Kloschüssel an: die Keramikoberfläche bekommt unvermeidlich winzige Risse, weil sie sich nicht den steten Bewegungen des darunterliegenden, weicheren Materials anpassen kann. In die Risse dringen Keime ein. Wenn nun jemand sich auf diese ohnehin unhygienische Klobrille setzt …» Es wurde den beiden zuviel. Sie verabschiedeten sich mit dem Versprechen, je einen Mitarbeiter vorbeizuschicken, der die Sache weiter untersuchen und in Ordnung bringen sollte.

Erst nach diesem Vorfall wurde mir bewusst, dass das Duschproblem tatsächlich nirgendwo befriedigend gelöst ist. Bei der üblichen Duschenkonstruktion befindet sich alles «unter Putz». Es muss etwas mit Prüderie zu tun haben. Mit beträchtlichem Aufwand wird die Wand aufgemeißelt. Dann werden die Leitungen hineinversenkt und eingemauert. Danach klebt man Keramikplatten auf den Putz und drückt Kitt in die Fugen. Früher oder später werden die Fugen undicht. Das Wasser findet seinen Weg. Hinter den Fliesen breitet es sich aus und weicht Putz und Klebmasse auf. Das Ganze fault und stinkt so über Jahre vor sich hin. Daher der typische Modergeruch, der allen Duschanlagen eignet – ob im Volksbad oder im Luxushotel.

Fünf Jahre danach: Der Hauswart war eines natürlichen Todes gestorben. Die Flickerei an den Duschen war zu einer Geschichte ohne Ende geraten. Ich befand mich im Urlaub, auf der Überfahrt mit der Fähre von Sardinien zum italienischen Festland. Die Fähre war aus Stahl. Und sie war dicht. So dicht sollten Duschwände sein. Ich werde Duschen aus Stahl bauen, sagte ich mir. Ich zeigte meinem Architekten die Skizzen zu meiner Idee. Ich hatte die Wunschvorstellung einer Dusche, die nur vorfabriziert geliefert würde, so dass sie nur noch an die Zuleitung beziehungsweise den Abfluss angeschlossen werden müsste. Er ging daran, für meinen geplanten zweiten Betrieb eine Dusche aus verzinktem Stahlblech zu konstruieren.

Drei Monate später stand sie im neu eröffneten Betrieb. Sie sah interessant aus, erinnerte aber eher an eine industrielle Farbspritzanlage als an eine Duschgelegenheit. Wir warteten leicht gespannt auf den Beamten der Baubehörde, der die ganze Anlage genehmigen sollte. Er kam und sah sich alles an. Mehrere Minuten stand er vor unserer Dusche, blätterte in einem Handbuch mit Vorschriften, um herauszufinden, gegen welche hier wohl verstoßen würde. Nach längerem Blättern klappte er sein Buch zu, steckte es in die Aktenmappe und wandte sich an mich: «Mal ganz ehrlich: finden Sie das schön?» fragte er. Dabei wies er mit dem Kopf in geringschätziger Weise auf die Dusche, ohne den strengen Blick von mir abzuwenden. Ich antwortete ausweichend, mauschelte wohl etwas von Geschmackssache und Hygiene und wartete auf seine konkreten Einwände. Es machte den Anschein, als fiele ihm nichts ein. Doch dann ging er dicht an die Stahlwand der Anlage heran, trat einen Schritt zurück und warf sich Schulter voran gegen die Wand, gerade so, wie die Kriminalbeamten in Fernsehkrimis verschlossene Türen einzurammen pflegen. Die Wand rührte sich nicht. Er rieb sich etwas die Schulter, schaute noch einmal kurz ins Innere des Duschraumes, sagte leise, halb zu sich selbst: «… wird ja immer schöner … großer Geschirrspüler …» und ging.

Nach einjährigem Gebrauch zeigte die Anlage die ersten Rostspuren. Verzinktes Stahlblech war wohl nicht die letzte Antwort. Die nächsten Duschen ließen wir bei einem Spezialisten für Edelstahlverarbeitung anfertigen. Statt Wellblech verwendeten wir jetzt rostfreien Edelstahl. Der kostete zwar zehnmal soviel, aber die Sache musste einfach durchgestanden werden. Doch nun gibt es sie, die Dusche die nicht mieft.

Aus: Werner Kieser, Die Seele der Muskeln. Krafttraining jenseits von Sport und Show © Patmos Verlag, Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG Ostfildern, 2. überarbeitete Auflage 2018
www.verlagsgruppe-patmos.de

  • Format 14 x 22 cm
  • 160 Seiten
  • Klappenbroschur
  • € 17,– [D] / € 17,50 [A]
  • ISBN 978-3-8436-1049-0